Fahrrad - Technik, Ratgeber
Rohloff gegen Pinion – die Premium-Fahrradschaltungen im Detailvergleich
Viele Radfahrer fragen sich, wo die Vorteile und Nachteile der beiden Premium-Schaltungen Rohloff Speedhub und dem Pinion Zentralgetriebe liegen und ob sich diese für den eigenen Bedarf eignen. Wir wollen Ihnen genau dabei helfen und versuchen Licht ins Dunkle zu bringen.
Die Kontrahenten
Im Jahr 1988 brachte Herr Rohloff mit seiner Speedhub 500/15 eine Revolution im Nabenschaltungsbereich auf den Markt. Sie überzeugte mit einem insgesamt sehr hohen Wirkungsgrad, einen sehr steifen Hinterrad sowie gleichmäßigen Gangsprüngen bei dennoch relativ geringem Gewicht.
Die Rohloff-Nabenschaltung verrät sich durch die dicke Nabe am Hinterrad
Nach langer Tüftelarbeit stellten die Pinion Entwickler aus dem Schwäbischen auf der Eurobike 2010 ihre neue Technologie erstmals vor. Aus dem Automobilbereich inspiriert, wurde eine Zentral-Getriebeschaltung für Fahrräder präsentiert, welche im Bereich des Tretlagers angebracht wird. Das P1.18 Getriebe beeindruckte vor allem durch seine riesige Übersetzungsbandbreite von 636 Prozent bei einer gleichmäßigen Abstufung und insgesamt 18 Gängen.
Die Pinion Schaltung sieht auf den ersten Blick ähnlich aus wie ein E-Bike Mittelmotor
- in Wirklichkeit ist es aber "nur" eine Schaltung
Vorteile beider Schaltungen
Sowohl bei Rohloff als auch bei Pinion bekommt der Fahrer eine Schaltung an die Hand, welche konstante Gangsprünge liefert. Keiner der Gänge überschneidet sich, sodass die an der Kettenschaltung üblichen Ausgleichsschaltungen entfallen. Jeder Schaltschritt ist vorhersehbar und fällt immer gleich aus.
An diesem Ritzelpaket erkennt man gut die stark unterschiedlichen Gangsprünge einer
Kettenschaltung - anfangs nur wenige Zähne unterschied werden es nach und nach immer mehr
- die Schaltvorgänge sind relativ schwer voraussehbar
Eine Kettenschaltung sieht sich dauerhaft allerlei ungünstigen Witterungsbedingungen direkt ausgesetzt. Ob Regen, Dreck, Schnee oder Staub – die Kettenschaltung bekommt alles direkt ab. Dies hat zur Folge, dass zur Funktionserhaltung sehr oft gereinigt, nachgeschmiert und irgendwann Teile getauscht werden müssen. Sowohl bei der Rohloff als auch der Pinion Schaltung ist dies nicht der Fall. Die beiden „eigentlichen Schaltungen“ sind gekapselt, nur der Antriebsstrang, welcher die Kraft auf das Hinterrad überträgt, liegt offen. Daraus ergibt sich eine enorm erhöhte Lebensdauer der eigentlichen Schaltungen. Bei der Rohloff Nabenschaltungen zeigen Erfahrungswerte, dass bei guter Pflege durchaus rund 100.000 km möglich sind. Bei seinen Getriebeschaltungen spricht Hersteller Pinion selbst von etwa 60.000 km Laufleistung, was natürlich ebenfalls eine Menge ist.
Solche gequälten Ketten gibt es beim Einsatz einer der beiden Schaltungen bei Ihnen künftig nicht mehr
Beide Systeme erlauben den Einsatz eines Riemenantriebs oder einer gekapselten Kette, was bei Kettenschaltungen nicht möglich ist. Dazu muss allerdings gesagt werden, dass dies auch bei allen andere Nabenschaltungen möglich ist. Vom Einsatz eines solchen Antriebs profitiert ebenfalls wieder die Lebensdauer, wobei die Pflege des Antriebs schwieriger wird. Beim Einsatz eines Riemens muss zusätzlich der Fahrradrahmen drauf ausgelegt sein, was die Produktion und damit auch die Anschaffung verteuert.
Gut geschützt dank Nabenschaltung mit voll gekapselter Kette
so dringt keine zerstörende Substanz an Ihre Fahrradkette
Nachteile beider Schaltungen
Der größte Nachteil beider Schaltungssysteme ist sicherlich der hohe Anschaffungspreis. Fairerweise muss allerdings dazu gesagt werden, dass diese auf lange Sicht für Vielfahrer sicherlich günstiger sind. Schließlich entfallen viele teure, regelmäßigen Wartungsarbeiten an der Schaltung, wie es bei einer Kettenschaltung nötig wäre. Diese Rechnung geht aber nur für Vielfahrer auf, bei weniger als 1000 km pro Jahr und guter Pflege kommt eine einfachere Naben- oder Kettenschaltung den Radler sicher günstiger.
Je nach Qualität (und vor allem Preis) der Kettenschaltung, ist diese um einiges leichter als die beiden alternativen Schaltungssysteme. Die Rohloff-Nabe ist jedoch mit rund 1,8 kg nochmals um einiges leichter als ein Pinion Getriebe, welches je nach Linie rund 2,1 kg (C-Linie) bis zu etwa 2,7 kg (P-Linie) wiegt. Dieses Gewicht muss bei jeder Bergauffahrt „mitgeschleppt“ werden, wobei sich bergab natürlich Vorteile ergeben.
Bei beiden Rädern macht sich der Käufer von einem System abhängig. Ersatzteile lassen sich so nur von diesem Hersteller beziehen und auch der Wechsel auf ein komplett anderes System ist nicht ohne weiteres möglich. Auch hier hat allerdings Rohloff wieder die Nase vorne, da grundsätzlich an einem Rahmen mit Rohloff-Schaltung quasi auch jede andere Nabenschaltung verbaut werden kann. Bei Pinion ist dies, aufgrund des speziell aufgebauten Tretlagerbereichs, nicht möglich.
Bild: Pinion Katalog 2016
Der Wirkungsgrad einer Kettenschaltung ist unerreicht, wobei dieser sehr stark von der Kettenschmierung abhängt. Eine schlecht geschmierte und womöglich noch kaum gespannte Kettenschaltung verliert gegen die Rohloff- oder Pinion-Schaltung auf jeden Fall. Bei guter Pflege müssen sich allerdings beide Schaltungen geschlagen geben, sei es die Rohloffschaltung mit einem mittleren Wirkungsgrad von etwa 97 % oder die das Pinion Getriebe welches auf einen Mittelwert von etwa 96 % kommt. Bemerkbar macht sich der etwas geringe Wirkungsgrad natürlich vor allem bei sehr durchtrainierten Fahrern mit hoher Antriebskraft.
Eine Kettenschaltung lässt sich unter Last gut schalten, zwar widerwillig und mit hoher Geräuschkulisse, aber sie gehorcht. Wer mit Rohloff-Nabe oder Pinion-Getriebe am Berg zu spät schaltet, der bekommt ein Problem. Hier ist anhalten angesagt um Schalten zu können. Dafür lassen sich beide, ganz im Gegensatz zur Kette, auch im Stand schalten, etwa an der Ampel. Pinion gibt für seine Schaltung zwar an, dass das Schalten auch unter Last möglich sei, Praxistests haben aber gezeigt, dass dies beim Runterschalten nur bedingt stimmt.
Wo die etablierte Rohloff-Schaltung Pinions Zentralgetriebe schlägt
Der größte Vorteil der Rohloff-Schaltung ist wohl deren Beständigkeit. Das System ist schon sehr lange Zeit auf dem Markt, sehr ausgereift und wird in unzähligen Rädern auf der Welt eingesetzt. Hier fehlen bei der Pinion-Schaltung bisher schlichtweg noch Erfahrungswerte.
Ein weiterer Vorteil der Rohloff-Nabe ist deren geringes Gewicht, vor allem im Vergleich zur P-Linie von Pinion. Dies gilt allerdings nur theoretisch und bei Bergauffahrten, in anderen Szenarien gewinnt das Konzept der des Tretlagergetriebes – trotz vermeintlichem Mehrgewicht, dazu später mehr.
Wo Pinions Zentralgetriebe über Rohloffs Nabenschaltung triumphiert
Beim Systemgewicht ist die Rohloff-Schaltung auf dem Papier definitiv überlegen. Zur P-Serie, welche aus einem Aluminiumblock gefräst wird, trennen Sie rund 1 kg. Doch hier muss man sich näher mit der Physik dahinter beschäftigen. Vier grundsätzliche Prinzipien kommen hier zum Tragen
• Masseschwerpunkt
• Schwerkraft
• Rotierende Masse
• Ungefederte Masse
Der Masseschwerpunkt sagt aus, in welchen Punkt das meiste Gewicht eines Systems zu finden ist. Bei einem Rad ist das typischerweise im Bereich des Tretlagers, dort sitzt beim Fahrrad der Radler mit all seinem Gewicht. Danach folgen das Hinterrad und dann das Vorderrad. Bei der Rohloff-Schaltung kommt zusätzliches Gewicht ans Hinterrad. Bei Pinion hingegen erfolgt die Gewichtsaddition im eigentlichen Radschwerpunkt – dem Tretlagerbereich. Gerade bei Sprüngen mit dem Mountainbike oder sehr steilen Anstiegen kann sich diese Eigenschaft der Rohloff-Schaltung negativ bemerkbar machen. Die Pinion sorgt hier – in der Theorie – eher für eine „sattere“ Straßenlage des Rads.
für Räder welche etwa für Sprünge genutzt werden sollen
Beim Thema Schwerkraft hat die Rohloff-Nabenschaltung bergauf Vorteile, die Pinion-Getriebeschaltung bergab. Bergauf muss ein Teil des Gewichts als Widerstand überwunden werden, bergab dient dieser dann allerdings als „Antriebshilfe“ (gemeint ist die Hangabtriebskraft).
Das Prinzip der rotierenden Masse dürfte den meisten vom Karussellfahren bekannt sein. Je weiter außen man auf dem Karussell steht, desto stärker wird man nach außen gezogen und desto schneller scheint die Drehbewegung zu sein. Kinder die hingegen im Bereich der Karussellmitte stehen, müssen sich weder besonders festhalten, noch drehen sie sich extrem schnell. Da die Rohloff-Schaltung sich auf die Nabenmitte konzentriert, ist der Effekt der rotierenden Masse eher ging. Da die Pinion-Schaltung aber nicht bei jedem Antritt oder Bremsvorgang beschleunigt und entschleunigt werden muss, hat die Pinion-Schaltung hier dennoch einen leichten Vorteil gegen über der Rohloff-Nabenschaltung.
Um bezüglich der rotierenden Masse wirkliche Nachteile zu entwickeln
müsste die Rohloff-Nabe viel weiter außen sitzen
- viel entscheidender ist meistens Reifen und Felge hierfür
Zieht man den Punkt „ungefederte Masse“ mit in die Gleichung ein, so gewinnt auch hier die Pinion-Schaltung. Hier geht es um das entkoppeln zweier Systeme, hier im Grunde der Masse des Fahrers von der Masse der Räder. Diese Gesetzmäßigkeit gilt allerdings nur bei vollgefederten Fahrrädern, also bei Rädern die sowohl vorne als auch hinten ein Federungselement aufweisen. Hier gilt der Grundsatz, dass die ungefederte Masse, also die Masse welche den Unebenheiten immer direkt folgen soll, im Idealfall sehr klein ist. Die gefederte Masse, also den Teil den man von den Unebenheiten entkoppeln (sprich abschotten) will, im Vergleich sehr groß. Diese Gewichtsverteilung wirkt sich auf die Leistung des Federungssystems aus. Die Räder eines Fahrrads, sind wie etwa auch die Gabel oder der Hinterbau, Teil eben jener ungefederten Masse, deren Gewicht sehr klein sein soll. Das Tretlager, die Heimat der Pinion-Schaltung, zählt allerdings zur gefederten Masse, welche im Vergleich eher groß sein muss. Somit profitiert ein Rad mit Vollfederung von der Pinion-Schaltung, während sich hier bei der Rohloff-Nabe Nachteile ergeben.
An einem vollgefederten Rad wie diesem spielt die Pinion ihren baulichen Vorteil
trotz höherem Gewicht aus - hier ein Fully von Riese und Müller
aufgrund Bosch Mittelmotor allerdings mit Nuvinci Nabenschaltung
Pinions Schaltsystem wird eine etwas geringere Geräuschkulisse nachgesagt, wobei sich hier die Geister scheiden. Problematisch ist hier vor allem die Vergleichbarkeit. Alles in allem hängt die Geräuschkulisse nämlich sehr stark von der Rahmenbeschaffenheit sowie dessen Verarbeitung ab. Je nachdem verstärkt dieser die Geräuschentwicklung oder eben nicht. Was sich auf jeden Fall sagen lässt, ist das die Rohloff-Nabe anfangs mehr Geräusche macht, als nach einigen tausend Kilometern.
Pinions Getriebeschaltung ist nicht nur in extrem vielen Gehäusefarben erhältlich
sondern auch in verschiedensten Übersetzungen für verschiedene Ansprüche
Unser Fazit zum Kampf der Premium-Schaltungen
Wie so oft im Leben – und vor allem auch im Fahrradbereich – muss genau überlegt werden was man mit seinem Rad vorhat.
- Ist es das einzige Rad welches man besitzt oder besitzen möchte?
- Wie ist der preisliche Rahmen?
- Plant man eine Weltreise oder tägliche Fahrten zum Bäcker?
- Spielt das Gewicht eine Rolle und wenn ja, nutzt man ein nur vollgefedertes Rad oder nicht?
- Fährt man genug Kilometer, sodass sich der Kaufpreis beider Schaltungen rechtfertigen würde?
Den einzigen Rat welchen wir hier geben können, ist beide Antriebsarten (in ihren verschiedenen Varianten) ausgiebig zu testen und die Vor- und Nachteile beider Systeme genau mit den eigenen Anforderungen zu vergleichen.
Bis dahin, wünschen wir einen reibungslosen Schaltvorgang – mit egal welcher Schaltung und Fahrrad auch immer.